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Rezension in Text ๐ [↓] & Ton ๐ [ โณ ] von „Miss Cassandras Wunsch" / Teil 1 der "Cousinen von Pemberley" / Linda O'Byrne
๐>>>INHALT
Cassandra ist nicht wirklich die Tochter ihrer Mutter, wenn man die beiden miteinander vergleicht: Sie verhält sich zurückhaltender, konventioneller; Sitte und Anstand bedeuten ihr viel - ihrer Mutter jedoch geht es vor allem um eines, nämlich ihr Amüsement. Die Tochter ihres Stiefvaters, eines kaltherzigen Menschen, der in ihr eher ein lästig-kostspieliges Mitbringsel seiner Frau in die Ehe sieht, ist sie schon gar nicht.
Genau auf dem Ball, bei dem Cassandra in die Gesellschaft eingeführt werden soll, hört sie zufällig ein Gespräch mit, bei dem besagter Stiefvater sie regelrecht an den meistbietenden Kameraden aus seinem Regiment verschachert. Daraufhin flieht Cassandra: zu den Darcys, also nach Pemberley, wo ihre Tante und ihr Onkel leben.
Die Reise an sich bedeutet bereits ein unerhörtes Abenteuer, denn junge Damen von Stand und Anstand machten sich 1832 niemals unbegleitet auf den Weg. Cassandra jedoch geht das Wagnis ein, um nicht gegen ihren Willen verheiratet zu werden. Allerdings gestaltet es sich als wirklich schwierig, jenen Schutz bei ihren Verwandten tatsächlich zu finden, auf den sie so sehr bei ihrer heimlichen Abreise baut, denn die sind bei ihrer Ankunft auf Pemberley verreist.
Cassandra erkrankt auf ihrer Flucht lebensgefährlich und wird ausgerechnet von dem Arzt gerettet, den sie vor dem unseligen Ball als ausgesprochen sympathisch kennengelernt hat, der aber anscheinend das Vorgehen ihres Stiefvaters kennt - und billigt: Richard Courtney. Die junge Frau versucht, sich immer wieder daran zu erinnern, dass sie ihn wegen seines Verhaltens auf dem Ball verabscheut. Doch seine aufgeschlossene Art zieht Cassandra stets aufs Neue in ihren Bann und indem sie ihm bei einer Behandlung hilft, beginnt sie sich tatsächlich zu emanzipieren. Bei dem Werk handelt es sich nicht nur um ein Historical und einen Liebesroman, sondern auch um einen fein gezeichneten Adoleszenzroman (Coming of Age), der einen jungen Menschen in der wichtigen Phase seines Lebens beobachtet und begleitet, in der gesellschaftliche Verhaltensnormen durch eigene Ansichten und Entschlüsse ersetzt werden - basierend auf der Erkenntnis, wo die persönlichen Bedürfnisse liegen.
Nicht nur zwischen Cassandra und Richard entsteht eine Verbindung – im Hintergrund entfaltet sich eine zweite, zunächst recht mysteriöse Beziehung zwischen Cassandra und einem Mann, der plötzlich in ihrem persönlichen Umfeld auftaucht und sie beobachtet.
Der Roman erzählt insgesamt eine bewegende Geschichte von Liebe, Verantwortungsgefühl, Erwachsenwerden und der bewegenden Frage, ob es tatsächlich unumgänglich ist, um eines geliebten Menschen willen auf persönliches Glück zu verzichten – oder eben nicht ...
๐ EIN GELUNGENES SEQUEL VON JANE AUSTENS “STOLZ UND VORURTEIL”
An sich verbietet sich ein moderner Begriff wie "Sequel" im Zusammenhang mit einem historischen Roman beinahe, und doch handelt es sich bei dem vorliegenden Werk um eine Fortsetzung des bekanntesten Romans von Jane Austen. Die Autorin Linda O'Byrne macht das mit der Wahl des Titels für ihre Buchreihe ganz deutlich, der da lautet: "Die Cousinen von Pemberley'' - Sprache, Zeitrahmen, Verhaltensweisen, Schauplätze und Protagonisten lehnt sie ganz dicht an die Vorlage “Stolz und Vorurteil” an und entwickelt sie doch eigenständig in dem Band "Miss Cassandras Wunsch" weiter.
Ein in wirtschaftlicher Hinsicht gewiss kluger Schachzug, sich im Kielwasser eines der meist gelesenen (und süchtig machenden) Liebesromane aller Zeiten fortzubewegen, aber auch einer, der von der Autorin einiges an Kenntnissen und Fertigkeiten verlangt. Was für Jane Austen tägliche und daher vertraute Realität gesellschaftlichen Lebens in Adelskreisen war, muss sich die heute lebende Linda O'Byrne erarbeiten: Sprache, Umgangsformen sowie Zustände der damaligen Zeit. Es bedeutet keine Kleinigkeit, einen stimmigen Historical-Roman zu verfassen! Linda O'Byrne ist dies gelungen. Kompliment!
Da ich persönlich nicht wirklich mit "Stolz und Vorurteil" vertraut bin (Nein, mir gefällt der Roman nicht wirklich.), fand ich zunächst die große Zahl an Namen und die Erläuterung der Beziehungen, die zwischen den einzelnen Protagonisten bestehen, manchmal anstrengend. Aber hier leistet die Autorin ausgezeichnete handwerkliche Arbeit: Wenn man das Universum von Pemberley samt seinen Figuren einmal verstanden hat, ist alles gut. Dann kann man sich einer interessanten Liebesgeschichte bzw. der Biografie einer ungewöhnlichen und charakterstarken jungen Frau beim Lesen ganz hingeben.
๐ AUS DER ZEIT GEFALLEN UND DAHER BEWEGEND
Die Konventionen, die für eine junge Frau wie Cassandra vor 190 Jahren galten, stellten ein engmaschig gestricktes Regelwerk dar, innerhalb dessen es sicher schwierig war, echte Gefühle auch nur zu entdecken und zuzulassen. Heute dagegen gibt es digitale Partnervermittlungsplattformen, Casual Dating und eine regenbogenbunte Welt sexuellen Selbstverständnisses bzw. sexueller Praktiken. Ist da nicht ein Roman, in dem ein im falschen Moment und am falschen Ort entblößter Arm bereits einen pornografischen Charakter zugewiesen bekommt, vollkommen überflüssig?
Ich finde: Nein.
Lesen bedeutet immer, über sich selbst und seine Zeit in dem Sinn hinauszuwachsen und die Grenzen des Ich in alle möglichen Richtungen zu überschreiten, indem man in andere Zeiten, Umstände und Personen hineinschlüpft. Wissenschaftlich ist übrigens inzwischen bewiesen, dass dieses Phänomen nicht lediglich einen amüsanten Zeitvertreib darstellt, sondern Lesern hilft, in ihrem realen Leben flexibler auf neue, unerwartete Situationen zu reagieren. Lesen bildet also, und zwar in mehr als einer Hinsicht. Verfolge ich empathisch in einem Buch, was den Figuren dort widerfährt, kommen meine eigenen Emotionen in Bewegung. Ich persönlich fühle mich dadurch bereichert, beinahe so, als hätte ich eine Reise angetreten und am Ziel neue Erfahrungen gesammelt. Je größer die Distanz zwischen meinem Startpunkt im Hier und Jetzt und dem Schauplatz bzw. der Situation der Figuren im Buch, desto größer ist der Sprung, zu dem meine Fantasie ansetzt. Ich bin 1962 geboren. Zwischen dem, was Cassandra im Jahr 1832 angeblich erlebt und meiner Lebenserfahrung liegen Welten! (Natürlich reite ich im Herrensitz, seinerzeit absolut undenkbar, um nur ein winziges Beispiel zu nennen.) Gerade aufgrund der großen Distanz zwischen der Hauptfigur des Romans und mir ist es mir beim Lesen gelungen, die Gegenwart gedanklich vollkommen loszulassen.
๐ IST ESKAPISMUS FEIGE? NEIN!
Als Eskapismus bezeichnet man eine ausweichende Haltung, also die Tendenz, die aktuellen Umstände und Gegebenheiten auszublenden, indem man sich ablenkt. Derzeit (2022) sind z. B. durch den Krieg in der Ukraine sowie die drohende Energiekrise samt Wohlstandsverlust die Lebensumstände wenig anheimelnd und geben insgesamt Anlass zur Sorge. Dem stelle ich mich mit jeder Nachrichtensendung, die ich aufmerksam verfolge.
Aber ich brauche auch Pausen vom Chaos, den Sorgen, der Angst. Ebenfalls wissenschaftlich belegt: Wenn Sinneseindrücke stetig gleichbleiben, stumpft man ab, nimmt keine Details mehr wahr, bleibt irgendwann emotional unberührt.
Genau deshalb habe ich das Buch gern gelesen. Das war mein kleiner Urlaub zwischendurch, einer, der mich geistig erholt und erfrischt und insgesamt davor bewahrt, abzustumpfen und mich an die unangenehmen Umstände meines gegenwärtigen Lebens einfach zu gewöhnen.
Ergo: Eine gesunde Portion Eskapismus ist nicht feige, sondern absolut notwendig, um sensibel zu bleiben.
๐ MIT DEM REICHTUM DER SPRACHE ELEGANT SPIELEN
Deutsch ist eine der am besten ausgebauten Sprachen dieser Welt, bietet massenhaft Vokabeln und eine fein abgestimmte Grammatik, um kleinste Nuancen kommunizieren zu können. Leider geschieht das in unserer Alltagssprache immer weniger. Ich genieße es ganz bewusst, in einem gut geschriebenen Historical, wenn dort beispielsweise der Konjunktiv gepflegt - gern ohne die Umschreibung mit "würde" - wird und die Sprache ein anderes, höheres Niveau erreicht, als in meinem Alltag. Abgesehen von einer gut entwickelten Story, die mich mitnimmt, bedeutet also eine stilistisch hochwertige Sprache für mich einen zusätzlichen Genuss beim Lesen eines gutgeschriebenen Regency-Romans.
๐ FAZIT
"Miss Cassandras Wunsch" verleihe ich fünf Sterne, denn es Werk hat mich auf zahlreichen Ebenen überzeugt: Plot, Gefühl, Spannung, Sprache - alles gut. Egal ob man bereits bekennender Pemberley-Fan ist oder nicht, hier wartet eine lohnende Lektüre, die sich wie ein erfrischender geistiger Urlaub anfühlt. Daher gerne fünf Sterne. โญโญโญโญโญ
๐ Und hier die Buchkritik zu "Miss Cassandras Wunsch" zum Nachhören
Um die ganze Rezension zu hören, bitte den zweiten Teil anklicken! โฌ๏ธ
Technische Daten zum Buch / Impressum
Deutsche Erstausgabe Juli 2022
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-786-1
Copyright © 2021 by Linda O’Byrne
Titel des englischen Originals: Cassandra
Übersetzt von: Stefanie Wenke
Covergestaltung: ARTC.ore Design
unter Verwendung von Motiven von
stock.adobe.com: © Christine, © Maksim Shmeljov, © mirage_studio, © ElenaBatkova
Korrektorat: Barbara Rath
E-Book-Version 11.08.2022, 09:14:04.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier
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Herzlichen Dank an dp!
Die DIGITAL PUBLISHERS GmbH hat mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt, wofür ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken möchte! ๐
Bei dieser Rezension handelt es sich um eine Form unbezahlter Werbung.
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